Astrid Windgassen-Frank > Mutter & Kind

Unsere Tante Gerlinde

Tante Gerlinde war die jüngere Schwester unseres Vaters. Wir nannten sie nie „Tante Gerlinde“. Das „Tante“ ließen wir weg, weil sie ein wirklich „untantiges“ Wesen war.

Sie war für uns die Wirklichkeit gewordene Pippi Langstrumpf. Geboren in den frühen Fünfzigern rebellierte sie schon früh – gegen ihre Eltern, gegen die Schule, gegen das Establishment. Sie war Rolling Stones Fangirl.  

Außerdem war sie der lustigste Mensch, den ich je getroffen habe. Wenn sie einen ihrer berüchtigten Lachanfälle hatte, konnte man nur mitlachen, bis einem der Bauch wehtat. 

Später, Gerlinde war inzwischen erwachsen und Mutter von zwei Kindern, war sie der Mensch, der mich in meiner schwierigen Zeit als Teenager am besten verstand, meine engste Vertraute.

Sie ist nie richtig erwachsen geworden. Gegen sie wirkten wir selbst in unserer wilden Zeit noch spießig und langweilig. 

Ihr Herz war riesengroß, sie war so warm und gemütlich, laut und leise, ein bisschen verrückt und immer gut gelaunt. Sie feierte viel, mindestens einmal in der Woche. Ihr Haus war offen, viele Leute tummelten sich in ihrer Kellerbar, ein Must-have der Achtziger Jahre.

Das Schönste war, dass sie wirklich immer Zeit für uns hatte. Arbeit in jeglicher Form lehnte sie konsequent ab, wenn sie gerade Wichtigeres zu tun hatte, wie zum Beispiel Zitroneneis-Wettessen mit uns. Ihr Zuhause war die Villa Kunterbunt. Und ihr Zuhause war auch unser Heim.

Sie starb sehr früh, nur sechzig Jahre jung. Zu viele Feste, zu viel von allem.

Liebe Gerlinde, die beste Tante der Welt, du hast unsere Kindheit so viel schöner gemacht. Danke für alles.

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