Astrid Windgassen-Frank > Migräne

ACHTUNG! Mein Text über Migräne ist lang. Falls ihr schnell die kurze Zusammenfassung lesen wollt, scrollt einfach bis unten zum Textende, dort findet ihr kurz gebündelt das Wichtigste.

Allen anderen wünsche ich möglichst viele Erkenntnisse aus meinem Artikel über Migräne.

Ich habe Migräne. Wahrscheinlich schon seit vielen Jahren. So richtig wahrgenommen und erkannt habe ich meine Migräne erst vor etwa fünfzehn Jahren. Da nahm sie richtig Fahrt auf.

Mein Bruder hatte sie als Kind. Nach der Pubertät war es vorbei, keine Migräne mehr. Warum auch immer. 

Bei meinem Sohn war es genauso. Es ging los, als er vier Jahre alt war. Zuerst dachten wir an eine Hirnhautentzündung, so heftig waren die Symptome. Nach der Pubertät war dann ebenfalls Schluss mit Migräne. Warum auch immer.

Mit den Wechseljahren wurde es schlimmer

Mit Beginn meiner Wechseljahre ging es bei mir erst richtig los. Warum auch immer.

Schon als junge Frau hatte ich jeden Monat zur Zeit meiner Menstruation pulsierende Kopfschmerzen, meist einen Tag lang. Dann war es wieder vorbei. Ich habe es lange Zeit nicht als Migräne erkannt, weil meine Symptome so anders waren als die meines Bruders und meines Sohnes.

Die beiden hatten, so sehe ich es heute, wahrscheinlich Migräne und zusätzlich einen sogenannten Cluster-Kopfschmerz. Beide hatten vorher plötzlich auftretende Sehstörungen, oft Taubheitsgefühle um den Mund bis hin zu Lähmungen in diesem Bereich oder auch mal einseitig im Arm, dazu heftiges Erbrechen, immer wieder über einen Zeitraum von 24 Stunden, starke Lichtempfindlichkeit. Mein Sohn hatte immer Schmerzen hinter dem linken Auge, das Auge wurde rot, klein, tränte stark. Zwischen den heftigsten Schmerzen gab es eine kurze Pause nach dem Erbrechen. Und dann ging es nach ein paar Minuten wieder los. Es war für sie unerträglich. Und für mich als Schwester und Mutter unerträglich. Denn helfen konnte ich ihnen damals nicht. Es gab kein Internet, die Ärzte interessierten sich nicht für Kopfschmerzen, Paracetamol und Ibuprofen halfen nicht.

Symptome

Meine Symptome waren anders. Ich hatte keinen Schmerzen hinter dem Auge, sondern immer an der gleichen Stelle, linke Kopfseite, pulsierend. Lange Zeit habe ich keine anderen Symptome bemerkt, bevor die Schmerzen anfingen. Heute weiß ich, dass sie da waren, ich habe sie aber ignoriert. Übrigens ist mir bis heute während der Migräne sehr selten übel, ich muss mich nie übergeben. Ich habe auch keine Sehstörungen. 

Daraus schloss ich, dass ich „harmlose“ Kopfschmerzen habe, aber keine Migräne. Vor etwa fünfzehn Jahren wurde es schlimmer. Jede Woche hatte ich drei Tage lang diese einseitigen, pulsierenden, stechenden Kopfschmerzen. 

Seit ein paar Jahren erkenne ich Vorboten meiner Migräne, in meinem Fall Reizbarkeit, Heißhunger auf Zucker, Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, Kribbeln und Taubheitsgefühl um den Mund herum und Schmerzen an den Haarwurzeln, eine sogenannte Trichodynie.

Recherche im Internet

Aber im Gegensatz zu meinem Bruder und meinem Sohn bekam ich Hilfe. Denn inzwischen gab es das Internet. Fluch und Segen zugleich. Bei meinen Recherchen zur Migräne hat es mir natürlich sehr geholfen. Meine Erfahrung bis heute ist, dass sich nur wenige Ärztinnen mit Migräne beschäftigen. Man bekommt höchstens Ibuprofen verordnet und das war’s.

Ich habe eine sehr lange Reise der Forschung und des Ausprobierens hinter mir.

Ich empfehle hier nichts, da ich keine Neurologin bin. Aber ich möchte euch die Ergebnisse meiner Suche mitteilen und hoffe, euch damit helfen zu können. Denn ich hätte mir viele Jahre des Leidens erspart, wenn ich einige Dinge früher und schneller herausgefunden hätte.  Für mich war die Recherche in medizinischen und wissenschaftlichen Texten relativ einfach, da ich einen medizinischen Beruf gelernt habe. Das hat mir sehr geholfen.

Migräne kurz erklärt

Hier eine Zusammenfassung der Diagnose Migräne in leicht verständlichen Worten und den wichtigsten Satz gleich zu Beginn:

Migräne ist eine neurologische und chronische Krankheit! 

Ursachen und Entstehung sind bis heute nicht vollständig erforscht. Unter anderem spielen Entzündungsprozesse an den Blutgefäßen der Hirnhäute eine Rolle bei der Entstehung der Schmerzen. Wer will, kann im Internet noch viel mehr darüber erfahren.

Ursachen der Migräne, die aus Märchen von Tante Klärchen stammen

Im Prinzip reicht es erst einmal zu wissen, dass die Wissenschaft nichts, aber auch gar nichts mit den folgenden Theorien zu tun hat, die wir als Migräne-Betroffene schon so oft gehört haben:

  • Du bist psychisch überlastet, regst Dich aber auch immer über alles auf, chill mal
  • Du hast bestimmt Probleme mit der Wirbelsäule, geh mal zur Physiotherapie
  • Du knirschst nachts mit den Zähnen
  • Du hast Probleme mit den Zähnen und dem Kiefer
  • Du trinkst zu wenig
  • Du trinkst zu viel
  • Du isst zu wenig
  • Du isst zu viel
  • Du ernährst Dich falsch
  • Du rauchst
  • Du solltest rauchen, wenigstens Gras
  • Du hast Probleme mit dem Darm
  • Du arbeitest zu viel
  • Du brauchst mehr Bewegung an der frischen Luft
  • Du machst zu wenig Sport
  • Du machst zu viel Sport, ruhe Dich mal aus
  • Du solltest Dich von Deinem Partner trennen, er macht Dich verrückt
  • Du brauchst eine Brille, sonst sind Deine Augen müde
  • Du brauchst keine Brille, sie stresst nur Deine Augen
  • Du solltest Dich nicht so viel in der Sonne aufhalten
  • Du solltest Dich auf jeden Fall mehr in der Sonne aufhalten
  • Du schläfst auf einer Wasserader
  • Du wohnst in einer elektromagnetisch verstrahlten Wohnung
  • Du solltest kein Handy und keinen elektronischen Wecker in der Nähe deines Bettes haben
  • Du bist allergisch gegen….

Die Liste ist endlos, ich könnte sie noch eine Stunde fortsetzen. Kommt euch irgendetwas davon bekannt vor? Und das alles habe ich nicht nur von Leuten gehört, die nichts mit Medizin zu tun haben. Auch von Medizinern habe ich so manchen Unsinn gehört.

Meine Ratschläge

Mein erster Rat: Bitte unbedingt zur Neurologin gehen – trotz langer Wartezeiten! Durchhalten und auf einen Termin warten!

Zuerst muss eine Diagnose gestellt werden. Die meisten Neurologinnen schaffen das.

Mein zweiter Rat: Nicht so viel Angst vor Medikamenten haben, die man gegen Migräne bekommt.

Ich hatte wahnsinnige Angst vor diesen Medikamenten und habe mich unnötig lange Jahre mit dem Mantra gequält: „Ich schaffe das ohne Medikamente!“ Das war völliger Unsinn und hat alles nur noch schlimmer gemacht. 

Mein dritter Rat: Nehmt es euren Mitmenschen, eurer Familie, euren Freunden, euren Kollegen nicht übel, wenn sie euch immer wieder ungefragt gute, aber wirkungslose Ratschläge geben. Sie meinen es ja nur gut. Ich habe mir inzwischen angewöhnt, überrascht die Augenbrauen hochzuziehen und den Satz zu sagen: „Wirklich? Von dieser Therapie / Methode habe ich noch nie gehört! Vielen Dank, das werde ich auf jeden Fall ausprobieren.“

Das ist unehrlich, ich weiß. Aber ich habe nicht mehr die Kraft, immer wieder zu erklären, was ich mir jahrelang mühsam erarbeitet habe. Gleichzeitig nehme ich wohlwollend zur Kenntnis, dass da jemand ist, der sich um mich kümmert. Das ist im Grunde sehr schön. 

Migräne hat ein schlechtes Image, galt jahrhundertelang als „hysterische Frauenkrankheit“. Was glaubt ihr, wie schnell man in der Forschung weitergekommen wäre, wenn mehr Männer betroffen gewesen wären? Nur gibt es wohl viel mehr Frauen mit Migräne. Pech gehabt!

Gute Nachrichten für Menschen mit Migräne

Und nun die gute Nachricht:

Medikamente, die speziell gegen Migräne entwickelt wurden, so genannte Triptane, gibt es schon eine ganze Weile. Sie sind gut erprobt und werden gut vertragen. Ich habe mich lange gegen Triptane gesträubt, hatte Angst davor. Das war völlig unbegründet. Ich vertrage sie gut und sie helfen mir immer.

Es gibt verschiedene Triptane, die sich zum Beispiel in der Wirkdauer unterscheiden.

Meine Migräne dauert oft zwei, manchmal drei Tage. Deshalb nehme ich seit einigen Jahren ein sogenanntes Frovatriptan. Die Wirkung setzt später ein als bei manchen anderen Triptanen, hält aber länger an. Der Nachteil von Frovatriptan ist, dass es mich ziemlich müde macht. Aber auf jeden Fall wirkt es bei mir.

Und jetzt noch eine gute Nachricht:

Neues Medikament zur Vorbeugung von Migräne-Attacken

Im Jahr 2018 ist etwas Sensationelles passiert. Ein neues Medikament zur Migräneprophylaxe, also zur Vorbeugung von Migräne, wurde zugelassen. Es handelt sich um eine sogenannte CGRP-Antikörper-Spritze. Davon gibt es inzwischen mehrere Präparate, die sich in ihrer Wirkungsweise etwas unterscheiden.

Allerdings sind diese Spritzen recht teuer. Als gesetzlich versicherter Patient kommt man nicht so schnell in den Genuss. Es müssen bestimmte Kriterien erfüllt sein. Und dazu muss die behandelnde Neurologin gut dokumentieren, dass andere Medikamente zur Migräneprophylaxe eingesetzt wurden und nicht geholfen haben. Man muss also erst einmal eine Liste mit einigen anderen Medikamenten sozusagen „abarbeiten“.

Vielleicht ist bei dem ein oder anderen etwas dabei, was wirklich hilft. Bei mir war das nicht der Fall. Ich habe alles ausprobiert und es hat nicht geholfen.

Alles in allem hat dieser Prozess drei Jahre gedauert, das Warten auf Termine bei den richtigen Ärzten, die Diskussionen mit meiner gesetzlichen Krankenkasse, das Abarbeiten der ganzen Medikamente, die man ja vorher ausprobieren muss. Das war keine schöne Zeit. Zu Beginn meines Leidensweges vor 15 Jahren habe ich mir das Leben aus Angst vor den richtigen Medikamenten wie Triptanen viele Jahre lang selbst schwer gemacht. Und in den letzten Jahren wurde es mir durch die Gesetzgebung und leider auch oft durch Desinteresse und auch unnötige Zögerlichkeit mancher Neurologinnen sehr schwer gemacht. Sie hatten auch ein Thema mit der Budgetierung. Die niedergelassenen Ärzte werden oft in Regress genommen, wenn sie Medikamente verschreiben, die dann von der Krankenkasse gestrichen werden. Und diese CGRP-Spritze ist verdammt teuer. Insofern habe ich natürlich auch das Zögern der Ärzte verstanden.

Endlich – mein heiliger Gral

Mein zweiter Name ist Terrier. Ich habe mich festgebissen und nicht locker gelassen. Ich blieb dran. Ein Jahr habe ich auf einen Termin in der Migräne-Ambulanz der Uniklinik Bonn gewartet. Aber es hat sich gelohnt. Seit zwei Jahren werde ich dort von einem kompetenten, mit dem Krankheitsbild der chronischen Migräne vertrauten und engagierten Neurologen bestens betreut. Wir begannen mit einer Spritze namens Aimovig. Das hat mir nicht geholfen. 

Und dann bekam ich endlich den heiligen Gral – Ajovy 225 mg!

Ich betone ausdrücklich, dass Ajovy 225 mg für mich der heilige Gral ist. Das heißt nicht, dass diese Injektion für alle Migränepatienten die richtige ist. Auf keinen Fall! Aber bei mir wirkt sie sensationell gut. Ich bekomme sie jetzt seit zwei Jahren, habe überschaubare Nebenwirkungen und fühle mich wie neugeboren. Ab und zu kriege ich kurz vor der nächsten Spritze, die ich nach Vorschrift alle dreißig Tage bekomme, noch eine Migräne. Aber die ist vergleichsweise harmlos, dauert nur einen Tag und mit dem Medikament Naratriptan (in der Apotheke sogar freiverkäuflich) komme ich gut klar. Naratriptan wirkt schneller als Frovatriptan, hält aber nicht so lange an. Aber es macht mich bei weitem nicht so müde. Bisher wirkt es wunderbar.

Ich gehe nun viel entspannter mit meiner Diagnose Migräne um. Ich weiß jetzt genau, was mir hilft: Ajovy als Prophylaxe alle dreißig Tage und Naratriptan bei Bedarf. Das kann sich natürlich immer wieder ändern. Aber im Moment läuft es gut. Meine Lebensqualität hat sich enorm verbessert. Jeder, der Migräne hat, weiß, wovon ich hier schreibe.

Alternative Therapien im Vergleich zu medizinischen Therapien

Noch ein Wort zu Alternativen im Vergleich zu den medizinisch-wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen: Da draußen wimmelt es von Angeboten aus dem Bereich der Homöopathie, der Heilpraktiker mit entsprechenden Naturheilmitteln, im Internet kursieren dazu Heilangebote wie diverse Mützen, Masken, Akupressur-Bänder, dazu Rezepte wie rohes Ei mit Rotwein, verschiedene Teesorten und so weiter und so fort.

Ich habe in meiner Not vieles ausprobiert und nichts davon hat geholfen. Natürlich gilt auch hier der weise Spruch: „Wer heilt, hat Recht.“ Aber ich bin eine große Freundin der Wissenschaft und mir helfen nur und ausschließlich zugelassene Medikamente wie Ajovy und Triptane.

Meine Lieblingsquellen – gute Aufklärung, wissenschaftlich fundiert

Was mir sehr geholfen hat, sind ein paar Quellen mit wunderbar aufbereiteten Informationen. Die solltet ihr euch unbedingt ansehen und anhören.

Hier meine Top 3 der Liste für gute Recherche:

  1. Frau Prof. Holle-Lee, Leiterin des Westdeutschen Kopfschmerz- und Schwindelzentrums an der Uniklinik Essen, hat einen tollen Instagram-Account. Dort beantwortet sie fast täglich Fragen zum Thema Migräne, wunderbar einfach aufbereitet. Ich war noch nie als Patientin dort, weil ich in der Uniklinik Bonn gut aufgehoben bin. Sollte sich das ändern, würde ich sofort ins Taxi steigen, aber nicht nach Paris, sondern nach Essen.

Man findet sie auf Instagram unter migraene_doc. 

Großartig!

  1. Ich empfehle einen Blick auf die Homepage der Migräne Liga e. V. Deutschland. Dort findet man auch sehr gute und aktuelle Informationen: https://www.migraeneliga.de/
  1. Die Folge 39 des Podcasts „Gehirn Gehört“ – Migräne und Aura – Das Gehirn zwischen Tiefdruck und Gewitter mit Prof. Dr. Volker Busch, Neurologe und Psychiater. Er erklärt einfach und verständlich den Prozess einer Migräne und dazu noch etwas zu Therapien. Sehr gut! https://open.spotify.com/episode/41f4PCOpvSDEnGNzveMfL4

Auslöser von Migräne

Ein letztes Wort zu den Dingen, die einen Migräne-Anfall auslösen können. Ich habe bei meinem Bruder, bei meinem Sohn und bei mir selbst beobachtet, dass Migräne durch verschiedene Einflüsse ausgelöst werden kann. Das kann sein: Zu wenig Schlaf, zu viel Schlaf, Hitze, zu wenig getrunken oder Alkohol getrunken. Und manchmal war es auch nichts davon. Es gibt kein System, keine Regel. Es gibt ein paar Dinge, die ich versuche zu vermeiden. Inzwischen habe ich aufgehört, mir Vorwürfe zu machen. Bis vorkurzem habe ich mich regelrecht beschimpft, wenn ich abends zwei Gläser Wein getrunken habe und bis in die Nacht mit Freunden zusammensaß. Ich schimpfe nicht mehr mit mir. Höchstens mit anderen. Weil es manchmal gut ging und manchmal nicht.

Meine Migräne ist eine neurologische, chronische Krankheit. Ich kann nichts dafür. Ich kann versuchen, einigermaßen gesund zu leben. Aber sie geht nicht weg. Sie bleibt. Und ich habe gelernt, damit so normal wie möglich umzugehen. Ohne Verzicht. Und ohne große Panik, dass ich auf wichtige Ereignisse wie Hochzeiten, Geburtstagsfeiern, Einschulung der Enkelkinder usw. verzichten muss, weil ich wieder Migräne habe. Ich habe meine Medikamente und sie helfen mir. Ich falle nicht mehr aus, ich stehe wieder mitten im Leben.

Zusammenfassung

Migräne ist eine chronische neurologische Erkrankung.

Sie kann gut behandelt werden, zum Beispiel mit Tabletten wie Triptanen als Akutmedikament oder mit verschiedenen Medikamenten zur Vorbeugung wie CGRP-Antikörper-Injektionen.

Weitere Informationen findet ihr hier:

Ich wünsche euch von Herzen, einen guten Weg im Umgang mit eurer Migräne zu finden. Lasst euch nicht verrückt machen!

Und jetzt alle zusammen laut im Chor, bis eure Umgebung es verstanden hat: „MIGRÄNE IST EINE NEUROLOGISCHE UND CHRONISCHE ERKRANKUNG!“

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