Astrid Windgassen-Frank > Skelett

Latein macht durchaus Sinn

Deutschland, Bayern, Schweiz, Österreich – ein sogenannter „deutschsprachiger Raum“ und alle verstehen sich. Denkt man. Ist aber nicht so. Ich komme aus dem Ruhrgebiet und lebte ein paar Jahre in Augsburg. 

Seitdem verstehe ich Menschen, die in ein fremdes Land einwandern und an der Sprache verzweifeln. 

Die regionale Sprachvarietät in den genannten deutschsprachigen Gebieten ist sehr ausgeprägt. Der verbale Austausch zwischen einem Kölner und einem Niederbayern hat aber so gar nichts mit der deutschen Sprache zu tun. Da braucht es mindestens zwei Dolmetscher.   

Meine eigene, merkwürdige Sprachgewohnheit aus dem Ruhrpott wie „datt“ und „watt“ ist vergleichsweise harmlos.  Ein Augsburger machte sich darüber lustig. Ich habe ihn nur nicht verstanden und es bedurfte einer langatmigen Erklärung des Übersetzers.  Der Augsburger war daraufhin beleidigt, weil man ihm seinen schönen Witz zerredet hatte. 

Ich versuchte es seitdem möglichst in Hochdeutsch.  Die korrekte Aussprache ist dem Augsburger zwar bekannt, allerdings auf Grund seiner Physis in der eigenen mündlich-verbalen Anwendung nicht möglich. 

So kam es zu Missverständnissen, geprägt von unfreiwilliger Situationskomik. 

Ich arbeitete in Augsburg in meinem Beruf als Diabetes- und Ernährungsberaterin.  Es dauerte etwas, bis ich verstand und akzeptierte, dass Bier eben nicht zu alkoholischen Getränken zählt. Über Schnaps ließ sich handeln. Aber Bier? Nein, Bier ist ein Grundnahrungsmittel und hat nichts mit Alkohol zu tun. 

Die Frage an meine Patienten, ob sie Alkohol trinken würden, formulierte ich dann also nach einer Weile um in: „Wieviel Liter Bier trinken Sie täglich?“  

Eines Tages kam ein Patient in meine Sprechstunde und klagte:

 „Schauens Frollein, mei Fiaß bringt mi um. I hob so sakrisch Schmerzen.“  

Ich war sehr stolz, dass ich das sofort übersetzen konnte in: „Bitte schauen Sie, mein Fuß tut mir weh!“

Und so antwortete ich: „Zeigen Sie mal.“ 

Ich konnte so schnell nicht reagieren, da stand Herr Huber mit heruntergelassener Hose bis auf die Knöchel vor mir, zieht seine Unterhose seitlich hoch und tippt auf seinen Oberschenkel. 

„Do ist‘s mir so nei  g‘fahren,  i kann nicht mal auftrabben.“ 

Meine erste Vermutung, dass Herr Huber seinen Fuß nicht von seinem Oberschenkel unterscheiden konnte, stellte sich als falsch heraus. 

Nach längerer Diskussion wurde deutlich, dass im bayrischen Raum mit „Fuß“ das gesamte Bein gemeint ist. Es kann jede Stelle am Bein bedeuten. Außer Fuß. Der heißt „Hax’n“.  

Ich hoffte, dass die angewandte Sprache in der bayrischen Chirurgie Latein ist… “Was haben wir denn heute auf dem OP-Plan? Amputation rechter Fiaß? Schwester Rosi, her mit der großen Säge!“  

Ich empfehle sicherheitshalber die genauere lateinische Bezeichnungen „Pes“ für Fuß.

Seither stand Willi, mein Skelett-Modell, an meinem Arbeitsplatz. Wenn in Bayern ein Fuß über die gesamte Länge des Beines reicht, dann wollte ich mir nicht mehr ohne vorherige Demonstration an Willi Beschwerden am Rücken zeigen lassen. 

Vielleicht reicht die bayrische Wirbelsäule auch weit über das Steißbein hinaus …

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