Astrid Windgassen-Frank > Dackel

Deutsch-Drahthaar-Dackel

Nun war ich also reif für die „Wechseljahre-Frisur“. Zuerst musste ich mich informieren, was bei der Zielgruppe gerade angesagt war. Mir schwante Böses. Bis vor einiger Zeit dachte ich, es sei klar. Frauen ab dem „gewissen Alter“ tragen die Haare kurz. Alle. Kurz und stufig. Es hieß immer, lange Haare bei älteren Frauen, das geht gar nicht! Von hinten sehen sie aus wie junge Mädchen. Sobald sie sich umdrehten, würde der brutale Betrug auffliegen. Wahrscheinlich macht man sich als Frau mittleren Alters sogar wegen Betruges strafbar.

Aber wie gesagt, ich ahnte es. Der stufige Kurzhaarschnitt, der da draußen bei irgendeinem Friseur auf mich lauerte, war nicht selbst gewählt. Bald würde mir nichts anderes übrigbleiben, als die Flörkes abzuschneiden. Denn seit einigen Jahren fallen mir die Haare aus. Nicht mehr ein paar hier und da, sondern ganze Büschel. Ich haare wie ein Golden Retriever.

Ich sage nur „Hormonumstellung“. Alles wegen den blöden Hormonen. Erst hat man zu viel davon, das macht Pickel in der Pubertät. Dann hat man zu wenig in den Wechseljahren. Das macht andere schöne Sachen, die die Welt nicht braucht. Wie eben Haarausfall. Die Haarstruktur verändert sich.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Aber meine nachwachsenden, grauen Haare, die ich spätestens alle vier Wochen am Ansatz nachfärben lassen muss, sind anders als meine früheren Haare. Ich hatte schon immer dicke Haare, zugegeben. Aber was da jetzt aus mir herauswächst, ist wie Draht. Ich schwöre. Es ist nicht nur doppelt so dick und weiß, es kräuselt sich auch noch. Im Ernst! Ich bekomme immer mehr Locken. Aber nicht so schöne lange gewellte Locken wie Prinzessin Käthe aus England. Nein, krause, abstehende, graue, aufgeraute.

Früher habe ich immer gedacht, die älteren Damen lassen sich alle freiwillig so eine merkwürdige „Kurzhaar-Löckchen-Dauerwelle“ machen. Von wegen! Die wachsen einfach so. Ich kriege das auch!

Aber das ist noch nicht das Schlimmste. Nein, die Wechseljahre haben noch ganz andere Sachen auf Lager. Mir fallen Haare auf dem Kopf aus, aber dafür wachsen mir jetzt an anderen Körperstellen Haare.

Das ist nicht lustig. Mir wachsen, und da bin ich laut Informationsblatt meiner Frauenärztin wohl nicht die Einzige, Haare am Kinn. Gäbe es keine Pinzetten, hätte ich jetzt einen Bart. Es sind keine Haare im klassischen Sinne. Nein, es sind eher Drähte. Die Dinger sind so dick, die könnte jede Floristin zum Blumenbinden gebrauchen. 

Ich habe neulich mit meinen Kindern über Patientenverfügung gesprochen. Auch das sind Themen, die plötzlich irgendwie in einem drin sind und raus wollen. Patientenverfügung! Ich habe mit meiner Tochter hart verhandelt, was man auf keinen Fall machen darf und was man auf jeden Fall machen soll. Wer wann welche Maschinen abschalten darf und soll, Ernährung über Magensonde ja oder nein und so weiter. Vordrucke für solche Verfügungen kann man in jeder Buchhandlung kaufen. Da ist alles Denkbare und Unvorstellbare schon aufgedruckt.

 Fast alles. Von „Barthaare zupfen“ steht da kein Wort.

Im Ernst! Ich habe jetzt schriftlich verfügt, dass ich als Pflegefall nicht nur zur Dekubitusprophylaxe wie ein paniertes Kotelett hin und her gewendet werde. Ich wünsche, dass man mir bitte alle paar Tage mit der Pinzette diese Drahtbarthaare herauszupft. Und die Augenbrauen nicht vergessen! Auch wenn grade wieder dicke buschige Augenbrauen angeblich hip und angesagt sind. Ich will nicht, dass das einfach so vor sich hinwächst. Ich will nicht auf dem Totenbett liegen und meine Angehörigen sagen hören: „Irgendwie sieht sie aus wie die Oma von Lars, dem Eisbären.“

Haare, die plötzlich an anderen Körperstellen wachsen, wo sie nicht hingehören, sind wirklich überflüssig. Mit weiteren Details verschone ich Sie.

Neben der Patientenverfügung habe ich jetzt auch einen Spenderausweis. Handschriftlich habe ich darauf gekritzelt, dass ich meine Drahthaare für Haarimplantate spende. Allein mit dem, was mir im Gesicht wächst, könnte ich drei Männer glücklich machen.

Ob ich den vermehrten Haarwuchs an meinen Beinen so lasse, überlege ich noch. Mit so vielen Haaren an den Beinen sieht man meine Krampfadern nicht mehr.

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